Im Interview: Weltmeister Alexander Wieczerzak über Titel, Tränen und Trainer

Sa, 02.09.2017, 21.19 Uhr
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von Tonja Bröder
Der Wiesbadener Kurier berichtet

Interview im Wiesbadener Kurier am 02.09.2017 mit Tobias Goldbrunner

BUDAPEST - Als Alexander Wieczerzak am Morgen nach dem größten Triumph seiner Karriere aufwachte, kamen ihm „schon wieder die Tränen“. Wie am Abend zuvor, als der frisch gebackene Weltmeister vom Judo-Club Wiesbaden bei der Siegerehrung in Budapest der Nationalhymne lauschte. Der 26-Jährige konnte den überraschenden Titelgewinn in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm „immer noch nicht glauben“. Und warf den Blick sogleich angriffslustig nach vorne. Auch Bundestrainer Richard Trautmann traut dem Wahl-Kölner noch viel zu. „Der letzte Athlet, der so in der Lage war, sich an taktische Dinge zu halten, war Ole Bischof – und der ist 2008 Olympiasieger geworden.“ Seither stand kein deutscher Kämpfer mehr bei WM oder Olympia ganz oben auf dem Treppchen. Das hat Wieczerzak nun geändert. Trautmann kündigt an: „Wir wollen 2020 in Tokio Medaillen holen, am liebsten mal wieder eine goldene. Alex ist sicherlich ein heißer Kandidat dafür.“

Herr Wieczerzak, wie viele Nachrichten haben Sie nach Ihrem Finalsieg erhalten?
Allein in den ersten Stunden mehr als 200 SMS und WhatsApp-Nachrichten. Bei Facebook kommt auch ständig was, ich habe es aber noch gar nicht geschafft, da reinzuschauen. Ich will alle beantworten, lag in der gleichen Nacht noch bis 1.30 Uhr mit dem Handy im Bett. Den Rest hole ich in den nächsten Tagen definitiv nach.

Sie wirken überglücklich. Lassen Sie uns an Ihren Gefühlen teilhaben?
Es ist der Wahnsinn! Ein Feuerwerk der Gefühle! Sowas habe ich noch nie in meinem Leben erlebt. Als ich am Morgen danach wach geworden bin, kamen mir wie bei der Siegerehrung schon wieder die Tränen. Als ich in die Halle kam, standen die Menschen auf und haben geklatscht. Ich habe in zehn Minuten höchstens drei Meter geschafft, so viele Leute wollten mir gratulieren. Das kannst du nicht realisieren, aber ich genieße jeden Moment.

Sie hatten die wohl schwerstmögliche Auslosung, haben den Weltranglistenersten Alan Khubetsov und Rio-Olympiasieger Khasan Khalmurzaev bezwungen. Stimmt es, dass Sie erst am Abend vor dem Wettkampf auf die Liste geschaut haben?
Ja, das mache ich immer so. Wir haben eine Stunde vor dem Wiegen die ersten beiden Gegner analysiert. Ich will auf die Matte gehen und zu 100 Prozent mein Können abrufen. Ich will immer eine Medaille gewinnen, also muss ich eh jeden schlagen. Und ich weiß auch, dass ich das kann. Ich kann mich zudem auf mein Trainerteam verlassen. Jeder Kampf in Budapest war eine taktische Meisterleistung, zu der mein ganzes Umfeld beigetragen hat.

Der Italiener Matteo Marconcini im Endkampf war wohl der unbekannteste Gegner...
..aber meine Trainer hatten ihn das ganze Turnier über beobachtet. Und intuitiv dachte ich mir von Beginn an: Der Würger kann klappen. Als die Situation dafür da war, musste ich nur nicht mehr lange fackeln.

Sie haben in jedem Interview betont, dass Bundestrainer Richard Trautmann einen riesigen Anteil an Ihrem Erfolg hat. Was macht ihn so besonders?
Er hat eine Gabe, seinen Sportlern neue Dinge beizubringen. Er sucht sich ein Puzzleteil raus, geht es mit einem intensiv durch. Aber er zwingt dich nicht, es auf Teufel komm raus anzunehmen. Wir haben mein komplettes Technikprofil auf den Kopf gestellt, neue Elemente hinzugefügt und bestehende optimiert. Im Boden ist er zum Beispiel ein Gott. Und das Faszinierende ist: Ich arbeite erst seit April mit ihm zusammen. Ich freue mich also unfassbar auf die nächsten Jahre. Ich kann noch so viel von ihm lernen. Es ist perfekt, dass er nun auch in Köln wohnt.

Sie mussten viele Rückschläge einstecken. Allein 2016: Dengue-Fieber, Rippenbruch, das Olympia-Aus, Ellbogen-OP. Und immer wieder hatten Sie es beim alten Bundestrainer Detlef Ultsch nicht einfach...
Das war eine harte Zeit. Der eine oder andere hat nicht mehr an mich geglaubt. Aber ich wusste immer, wozu ich in der Lage bin, wenn ich endlich mal absolut fit bin. Ich habe 2016 fast gar kein Judo gemacht. Aber ich habe zuletzt jeden Tag hart für diesen Lohn gearbeitet.

Wie geht es nun weiter?
Am Sonntag wollen wir im Team-Mixed-Wettbewerb die nächste Medaille holen. Danach mache ich erst mal drei Wochen Urlaub. Will komplett abschalten. Danach geht der Blick aber schon in Richtung 2018. Ich will bei EM und WM Edelmetall gewinnen. Und natürlich ist das große Ziel: Olympia 2020.

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