Vermarktung und viel Training: Judo-Weltmeister Alexander Wieczerzak hat jetzt schon Olympiagold im Visier

Mo, 06.11.2017, 13.13 Uhr
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von Tonja Bröder
Der Wiesbadener Kurier berichtet

Artikel im Wiesbadener Kurier am 4.11.2017 von Tobias Goldbrunner

Alexander Wieczerzak lacht. „Die Nase ist auch in Zukunft krumm“, antwortet der Judoka auf die Frage, was von einem WM-Titel bleibt. Die Nase hatte sich der 26-Jährige vom JC Wiesbaden im Halbfinale gebrochen. Was ihn aber an diesem historischen 31. August 2017 nicht aufhalten konnte: Wieczerzak gewann bei der Weltmeisterschaft in Budapest Gold. Als erster Deutscher seit 14 Jahren. Das Medieninteresse war gewaltig. Reporter rund um den Globus wollten über den Sensationschampion berichten. Der als Nummer 124 der Welt ins Rennen gegangen war. Zudem so eine tragische Vorgeschichte hatte: Der 81-Kilo-Mann verpasste Olympia in Rio, weil er erst unter dem lebensbedrohlichen Dengue-Fieber litt, sich später noch eine Rippe brach.

Bei der Bundesliga-Finalrunde diesen Samstag erstmals der Gejagte

Zwei Monate sind seit der WM vergangen. „Es hat sich natürlich viel verändert“, schildert Wieczerzak. Auf der Matte ist er jetzt der Gejagte. Das könnte er zu spüren bekommen, wenn er am Samstag erstmals seit dem WM-Triumph wieder antritt. In der Finalrunde um die deutsche Meisterschaft in Leipzig. Mit Titelverteidiger Hamburger JT, für den er in der Bundesliga als Gastkämpfer antritt, fordert er im Halbfinale Rekordmeister TSV Abensberg. Die Hanseaten sind gegen den Aufsteiger, der 2016 freiwillig ein Jahr in der Zweiten Liga kämpfte, damit sich die Athleten auf Olympia konzentrieren können, der Außenseiter. „Es wäre richtig geil, wenn wir einen raushauen“, meint Wieczerzak.

Wieczerzak ist das neue Aushängeschild des Deutschen Judobundes (DJB). Die Sportart sehnt sich nach einem Aufschwung. 2002 zählte der Verband noch 276 064 Mitglieder. 2008 waren es nur noch 184 765. Im Vorjahr 150 279. Wieczerzak möchte seinen Teil dazu beitragen, dass Judo wieder populärer wird. Er arbeitet intensiv an seiner Vermarktung. Wohl wissend, wie schnell Ruhm verblassen kann. 2010 holte er den WM-Titel bei den Junioren, 2015 EM-Bronze bei den Aktiven. Als 2016 der Olympia-Zug ohne ihn abfuhr, weitere verletzungsbedingte Rückschläge folgten, war die Zahl derer, die ihn unterstützen wollten, überschaubar. Der Hessische Judoverband teilte ihm schriftlich mit, dass die monatliche Förderung gestrichen sei. Auch im DJB wurden Stimmen laut, Wieczerzak, der eineinhalb Jahre keine internationale Medaille errungen hatte, fallen zu lassen. „Der Einzige, der zu 100 Prozent an mich glaubte, war Richard Trautmann“, erzählt Wieczerzak. Der neue Bundestrainer, der Wieczerzak schon 2010 zum Junioren-Titel geführt hatte, nominierte den 26-Jährigen früh für den WM-Kader, nahm ihn – obwohl noch angeschlagen – mit zu den Lehrgängen nach Teneriffa, Japan, Südkorea und Frankreich. Es sollte sich auszahlen.

Frankreichs Superstar Riner ist dank seiner Erfolge Millionär

Doch wie zahlt sich der Erfolg für Wieczerzak aus? Ein Uhrenhersteller, die Deutsche Sporthilfe, die Wiesbadener Sportförderung, einige Geldgeber der Liga, der JCW – das sind seine Sponsoren. Wieczerzak bemüht sich gerade selbst darum, weitere zu gewinnen. „Klar, der Titel öffnet Türen. Mehr, als wenn du Zweiter oder Dritter wirst. Ich bin mit einigen Firmen im Gespräch. Was dabei herauskommt, wird sich erst 2018 zeigen.“ In Frankreich ist der zweimalige Judo-Olympiasieger Teddy Riner übrigens ein Superstar. Dank seiner Erfolge Millionär. Wieczerzak ist Sportsoldat. „Das ist ideal. Ohne die Bundeswehr müsste ich mir jeden Monat Sorgen machen, wie ich meine Miete zahle.“ Verlassen kann er sich auf diese Förderung nicht. „Die Verträge werden nur von Jahr zu Jahr verlängert.“

„Stecke alles, was ich zusätzlich verdiene, sofort in den Sport“

Das Schwierige, so Wieczerzak: „Um weiter Erfolg zu haben, musst du langfristig planen.“ Und Wieczerzak hat viel vor. „Ich will noch mal Weltmeister werden.“ Am liebsten 2018 in Baku. „Und ich will 2020 Olympia-Gold gewinnen.“ Er hat beschlossen, nur noch Kooperationen einzugehen, „die feste Zusagen geben. Wenn du von A nach B rennst, ohne dass was Fixes rumkommt, stresst das nur. Und Stress tut im Sport nicht gut“. Wieczerzak verdient auch Honorare bei Judo-Lehrgängen, die er leitet. „Aber alles, was ich zusätzlich bekomme, stecke ich sofort in den Sport.“ Ein Beispiel: Als B-Kader-Athlet werden ihm zwei Mal eine halbe Stunde Physiotherapie in der Woche finanziert. „Ich benötige allerdings jeden Tag eine Stunde“, berichtet der gebürtige Frankfurter. Der schon mal einen Online-Shop für Kinderkleidung gegründet hatte, nun nebenbei BWL an einer Fern-Uni studiert. Für die Karriere nach der Karriere. Auch wenn wenig Zeit bleibt. In der WM-Vorbereitung trainierte Wieczerzak drei Mal täglich. Laufen, Krafttraining. Bis zu 30 Trainingskämpfe pro Einheit, gefolgt von 300 Wurfansätzen. Zum größten Teil fern der Heimat. Auch an den trainingsfreien Tagen stand er auf der Matte, arbeitete an Technik und Taktik. „Judo ist ein unglaublich facettenreicher Sport“, erklärt der 26-Jährige. „Jeder Gegner ist ganz anders.“ In Budapest musste er sechs binnen sieben Stunden bezwingen. Auf die ersten zwei hatte er sich am Tag davor vorbereitet, auf die anderen in den Minuten vor den Kämpfen.

„Du musst auch viel schlafen“, so Wieczerzak, der aufgrund der Zentralisierung im Judo in Köln lebt und trainiert. „Und richtig kochen.“ Gerade als Judoka, der auf sein Gewicht achten muss. Vor Turnieren innerhalb weniger Tage fünf Kilo abnimmt. Seit einiger Zeit unterstützt ihn die Schrothkur als Partner, analysiert, welche Nahrungsmittel ihm guttun. Unterstützung erfährt er auch von seiner Freundin, die mit ihm Gegner studiert, Presseanfragen beantwortet. Und Trainingspartner Simon Schnell, der vor der WM jeden Tag mit ihm aktiv war. „Erfolge im Judo können sich finanziell auszahlen“, sagt Peking-Olympiasieger Ole Bischof, der wie Wieczerzak zu Beginn für den JC Rüsselsheim kämpfte. „Entscheidend ist, ob du eine Persönlichkeit bist.“ Bischof, bei einem Finanzdienstleister tätig, zudem Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, wusste sich vor Kameras zu verkaufen. „Das kann auch Alex. Er tut dem Sport sehr gut“, so der frisch gebackene Familienvater. „Er kann viel erreichen – für das Judo und sich.“

„Der Letzte, der sich so an taktische Vorgaben halten konnte“, sagt Trautmann, „war Ole. Und der wurde Olympiasieger.“ Aber allein der Weg nach Tokio wird steinig. Auch der Körper muss mitmachen. Nach der WM schmerzten neben der Nase Handgelenk und Leiste. „Nichts Schlimmes. Aber aus Kleinigkeiten darf nichts Großes werden.“ Immerhin, so Wieczerzak: „In Kliniken spricht es sich schnell rum, dass ein Weltmeister da ist. Da wird man gut behandelt.“

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