Corona-Quarantäne: Wieczerzak darf nicht zur Judo-EM
Bericht im Wiesbadener Kurier von Katja Sturm am 18.11.2020
Warum der für den JC Wiesbaden startende Ex-Weltmeister den nächsten Rückschlag hinnehmen muss. Olympia ist aber noch lange nicht abgeschrieben.
WIESBADEN - Es sollte ein Kaltstart werden. Bei den Europameisterschaften, die an diesem Donnerstag in Prag beginnen, wollte Alexander Wieczerzak nach fast achtmonatiger Pause endlich wieder einmal die Routinen erleben, die mit jedem Wettkampfauftritt verbunden sind: das Gewichtmachen vor dem Wiegen, die Anspannung vor dem Gang auf die Matte und die Konfrontation mit den Gegnern dort. Die Vorbereitung war kurz und intensiv: Nachdem erst vor zwei Wochen feststand, dass die Titelkämpfe in Tschechien trotz der Coronavirus-Pandemie ausgetragen werden und die Deutschen dabei sein würden, blieben dem Judoka des JC Wiesbaden nur elf bis zwölf Einheiten, um sich für diese fit zu machen. Zuvor hatte der Weltmeister von 2017 wegen einer Verletzung der seitlichen Bauchmuskulatur zwei Monate lang pausiert.
In Quarantäne nach Kontakt zu einem Corona-Erkrankten
Am vergangenen Sonntag wurden Wieczerzaks Pläne für die nächsten Tage über den Haufen geworfen. Telefonisch erhielt der 29-Jährige die Nachricht, dass er direkten Kontakt mit einer Person hatte, bei der später der Covid-19-Erreger nachgewiesen wurde. Das Gesundheitsamt der Stadt Köln, in der der gebürtige Frankfurter lebt und trainiert, verordnete die obligatorische Quarantäne. Zwei Tage lang rangen der Sportler und seine Trainer um eine Ausnahmegenehmigung, war ein für den EM-Start geforderter Test vom vergangenen Samstag doch negativ ausgefallen. Mit Blick auf die längere Inkubationszeit wurde der Antrag am Dienstag endgültig abgelehnt.
Zwar ist die Klasse bis 81 Kilogramm, in der Wieczerzak antritt, erst am Freitag dran. „Aber ich hätte schon am Mittwochabend in Prag sein müssen“, erklärt er. So bleibt ihm, während sein Trainingspartner Eduard Trippel vom JC Rüsselsheim an die Moldau reist, nichts anderes übrig, als zu Hause auszuharren, in der Hoffnung, dass er so früh wie möglich wieder ins Dojo zurückkehren und sich dann ohne weitere Probleme auf die Aufgaben konzentrieren kann, die im nächsten Jahr auf ihn warten.
„Rückschläge gehören zum Leistungssport dazu“, sagt Wieczerzak. „Wenn man mit ihnen nicht umgehen kann, hat man ein Problem.“ Der Kampfsportler selbst musste schon einiges einstecken und beweisen, dass er immer wieder aufstehen und neu angreifen kann. Vor vier Jahren verpasste der EM-Dritte von 2015 die Olympischen Spiele in Rio, weil er sich im Frühjahr auf Kuba mit dem lebensbedrohlichen Denguefieber angesteckt hatte und sich danach noch eine Rippe brach. Dass er nur ein Jahr später bei der WM die Goldmedaille gewann, gibt ihm die Gewissheit, dass er in der Lage ist, aus einem Tief heraus zu neuer Stärke zu finden. Das hilft ihm jetzt auf dem steinigen Weg zur nächsten Olympiachance in Tokio. Die ursprünglich in diesem Jahr vorgesehenen Spiele in Japan schien der Hesse verpasst zu haben, nachdem er trotz erfolgreicher Qualifikation nach erneuten Verletzungsproblemen im nationalen Vergleich mit Dominic Ressel in der Weltrangliste schlechter stand und der Deutsche Judo-Bund (DJB) Ende Februar den einzigen Startplatz in der Gewichtsklasse dem Kronshagener zusprach. Durch die Verschiebung des Großereignisses eröffnet sich Wieczerzak jedoch eine neue Chance. Die erste Jahreshälfte 2021 ist nach aktuellem Stand vollgepfropft mit Wettkämpfen, bei denen es Punkte für die Olympiaqualifikation zu verdienen gibt, darunter gleich im Januar ein World Masters in Doha sowie eine weitere Europa- und sechs Wochen vor der Eröffnungsfeier in Tokio sogar eine Weltmeisterschaft. „Das gab es in einem Olympiajahr noch nie“, betont der potenzielle Debütant. Auf internationaler Ebene soll offenbar all das aufgeholt werden, was der Coronavirus-Krise seit März zum Opfer fiel. „Anfang 2020 war ich nicht bereit“, erklärt der mehrmalige deutsche Meister, diesmal will er es sein.
„Ich bin noch nicht auf dem Zenit meines Könnens.“
Dafür wird er die nächsten Tage so gut wie möglich mit Konditionstraining verbringen. Gummibänder und Kettlebells hat Wieczerzak schon vom Lockdown im Frühjahr in seiner Kölner Wohnung; nun will ihm der Olympiastützpunkt auch noch ein Fahrradergometer zur Verfügung stellen. Für ausreichendes Ausdauertraining fehlte dem BWL-Fernstudenten und Sportsoldaten zuletzt wegen der schnellen EM-Vorbereitung die Zeit, an Motivation mangelt es ihm nicht. „Ich bin noch nicht auf dem Zenit meines Könnens angelangt“, ist der ehrgeizige Athlet überzeugt. Aber er habe Bock, dorthin zu kommen.