Judoka Wieczerzak sieht Verletzung als Vorteil
Bericht im Wiesbadener Kurier am 23.08.2019 von Tobias Goldbrunner
Mit Gesäßmuskel-Zerrung: JCW-Kämpfer Alexander Wieczerzak muss bei WM vorne landen – sonst ist Olympia in Gefahr
TOKIO - Es passierte in der letzten Minute. Der letzten Einheit. Alexander Wieczerzak wollte links in eine seiner Spezialtechniken eindrehen. Und spürte sofort den Schmerz im Gesäßmuskel. Bis dahin war der Vorbereitungslehrgang in Kienbaum, wo sich die deutschen Judoka den letzten Schliff für die Weltmeisterschaften in Tokio holten, „so perfekt gelaufen“, schilderte Wieczerzak. Doch dann das: eine Zerrung. Nur eine Woche vor den am Sonntag beginnenden Titelkämpfen in Japan. Der erste Gedanke des 81-Kilo-Mannes vom Judo-Club Wiesbaden: Nicht schon wieder!
Konkurrent Ressel hat mehr als doppelt so viele Zähler
Schließlich verfolgen den Ausnahmekönner immer und immer wieder Verletzungen und Krankheiten. Eine gebrochene Rippe und eine Ellbogen-Verletzung kosteten ihn zum Beispiel 2016 die Olympia-Teilnahme. Und nun? Drohte das WM-Aus? Wieczerzak beißt auf die Zähne. „Natürlich ist das nicht ideal, aber ich wurde in den vergangenen Tagen sehr gut in der Physio behandelt“, erzählt der 28-Jährige, der froh ist, „dass ich einen Physio habe, bei dem ich auch sonntags vorbeikommen kann.“ Die Frage werde aber sein: Reicht es für eine Medaille? „Denn genau das ist natürlich mein Ziel für die WM“, sagt Wieczerzak. Es wäre die dritte in Folge. 2017 holte der JCW-Kämpfer fast sensationell Gold – damals hatte ihn kaum einer auf der Rechnung. 2018 waren alle Blicke auf den Titelverteidiger gerichtet. Wieczerzak schüttelte alles ab, sicherte sich Bronze. „Diesmal habe ich mir selbst im Vorfeld großen Druck gemacht“, erzählt der 28-Jährige. „Schließlich geht es um extrem viele Punkte für das Olympia-Ticket.“ Wieczerzaks Problem ist nämlich: Aktuell liegt er in der Qualifikationsrangliste weit hinter seinem nationalen Kontrahenten Dominic Ressel. Der Kämpfer des TSV Kronshagen ist mit 2085 Punkten Vierter im weltweiten Ranking, Wieczerzak kommt als 22. nur auf 987 Punkte. Und: Jede Nation erhält pro Gewichtsklasse nur einen Startplatz.
Der drei Jahre jüngere Ressel hat bei den Grand Slams und Grand Prix‘ in diesem Jahr fleißig Medaillen gesammelt, Wieczerzak war da aufgrund einer Fußverletzung noch nicht in Form. Im Juli verpasste Ressel verletzungsbedingt die European Games in Baku, Wieczerzak wurde Fünfter. Bei der WM im Vorjahr schlug Wieczerzak seinen Freund im Kampf um Bronze. Bei der diesjährigen WM erhält der Sieger 2000 Punkte, der Zweite 1400. Als Siebter gibt es immerhin noch 520. Das sind doppelt so viele Zähler wie bei einem Grand Slam. Heißt: Holt Ressel einen Podestplatz, wäre der Olympia-Zug für Wieczerzak schon fast abgefahren.
Am Mittwoch flog das deutsche Team nach Japan, der JCW-Athlet fühlte sich in den Einheiten vor Ort körperlich „okay“. Und sieht die Verletzung mittlerweile sogar als Vorteil: „Es nimmt mir etwas Druck, um ehrlich zu sein. Ich weiß: Ich kann es nicht ändern. Und selbst wenn es bei der WM nicht mit der Medaille klappt, habe ich noch bis Mai 2020 Zeit, um mich für Olympia zu qualifizieren. Ich bin mental stark genug, das zu schaffen.“
In jedem Fall genießt er die Bedingungen im Mutterland des Judos. „Hier wirst du als Judoka behandelt wie die Fußballer in Deutschland. Es ist großartig, in Japan zu kämpfen“, berichtet Wieczerzak, der auch im Mixed-Team-Wettbewerb am übernächsten Sonntag (1. September) dabei ist.